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Hesse

Hesse

Allein

Es führen über die Erde Strassen und Wege viel,
Aber alle haben dasselbe Ziel,
Du kannst reiten und fahren, zu zweien und zu dreien…
Den letzten Schritt musst du gehen allein.

Drum ist kein Wissen, noch Können so gut,
Als daß man alles Schwere Alleine tut.
Hesse

 

Bitte

Wenn du die kleine Hand mir gibst,
Die so viel Ungesagtes sagt,
Hab ich dich jemals dann gefragt,
Ob du mich liebst?

Ich will ja nicht, dass du mich liebst,
Will nur, dass ich dich nahe weiß
Und dass du manchmal stumm und leis
Die Hand mir gibst.
Hesse

 

Das Leben, das ich selbst gewählt

Ehe ich in dieses Erdenleben kam
Ward mir gezeigt, wie ich es leben würde.
Da war die Kümmernis, da war der Gram,
Da war das Elend und die Leidensbürde.
Da war das Laster, das mich packen sollte, Da war der Irrtum, der gefangen nahm.
Da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte, Da waren Haß und Hochmut, Stolz und Scham.

Doch da waren auch die Freuden jener Tage, Die voller Licht und schöner Träume sind, Wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage, Und überall der Quell der Gaben rinnt.
Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden, Die Seligkeit des Losgelösten schenkt, Wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden Als Auserwählter hoher Geister denkt.

Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute, Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.
Mir ward gezeigt die Wunde draus ich blute, Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.
Und als ich so mein künftig Leben schaute, Da hört ein Wesen ich die Frage tun, Ob ich dies zu leben mich getraute, Denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.

Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme — »Dies ist das Leben, das ich leben will!« — Gab ich zur Antwort mit entschloßner Stimme.
So wars als ich ins neue Leben trat
Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
So ward ich geboren in diese Welt.
Ich klage nicht, wenns oft mir nicht gefällt, Denn ungeboren hab ich es bejaht.
Hesse

 

Die Flamme

Ob du tanzen gehst in Tand und Plunder,
Ob dein Herz sich wund in Sorgen müht,
Täglich neu erfährst du doch das Wunder,
Dass des Lebens Flamme in dir glüht.

Mancher lässt sie lodern und verprassen,
Trunken im verzückten Augenblick,
Andre geben sorglich und gelassen
Kind und Enkeln weiter ihr Geschick.

Doch verloren sind nur dessen Tage,
Den sein Weg durch dumpfe Dämmrung führt,
Der sich sättigt in des Tages Plage
Und des Lebens Flamme niemals spürt.
Hesse

 

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hesse

Spruch

So mußt du allen Dingen
Bruder und Schwester sein,
Daß sie dich ganz durchdringen,
Daß du nicht scheidest Dein und Mein.

Kein Stern, kein Laub soll fallen –
Du mußt mit ihm vergehn!
So wirst du auch mit allen
Allstündlich auferstehn.
Hesse

 

Schönheit

Verschenke dich, so stolz du bist,
Verschenke alles, was du hast!
Die Jugend ist ein flüchtiger Gast,
Der bald gegangen ist.

Gib dich einem armen Knaben,
Dem du keine Liebe wehrst,
Mach ihn reich, so wirst du erst
Selber dich zu eigen haben.
Hesse

 

Rat

Nein, Junge, suche du allein
Den Weg und laß mich weitergehen!
Mein Weg ist weit und mühevoll
Und führt durch Dornen, Nacht und Wehen.

Geh lieber mit den andern dort!
Der Weg ist glatt und viel betreten,
Ich will in meiner Einsamkeit
Auch einsam sein und beten.

Und siehst du mich auf Bergen stehen,
Beneid mich nicht um meine Flügel!
Du wähnst mich hoch und himmelnah –
Ich seh, der Berg war nur ein Hügel.
Hesse

 

Glück

Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum glücklich sein
Und wäre alles Liebste dein.

Solange du nach Verlorenem klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weißt du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziele mehr, noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,

Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz – und deine Seele ruht.
Hesse